Da lag er nun. Tot. Wie hatte es nur soweit kommen können?
Es hatte alles ganz süß und knuffig angefangen. Im Tierheim in der Austraße war er abgegeben worden. Seine Besitzer konnten ihn nicht mitnehmen als sie in eine neue Stadt zogen – und sie hatten auch niemanden gefunden, der ihn haben wollte. Also Tierheim.
Das kam Anna ganz recht. Oder eigentlich ihren Eltern, die kurz vor Weihnachten ein Geschenk für ihr Töchterchen suchten und deren Wunsch nachgeben wollten, ihr endlich einen Hund zu kaufen.
Und wie süß der aussah, mit seinem roten Fell und der spitzen Nase, den kurzen Beinchen und dem langen Schwanz. Der sollte es sein. Der wäre perfekt für Anna. Also bekam Finn ein neues Frauchen.
Bei der Weihnachtsbescherung saß er brav in einer Hunde-Transportbox unter dem Weihnachtsbaum. An der Box, die eine rotes Unterteil und ein hellgraues Oberteil hatte, war eine silbrige Schleife angebracht.
Als Anna ihn sah, schrie sie vor Freude, machte die Box auf und nahm ihn in den Arm. So richtig wollte Finn aber nicht in den Arm genommen werden. Er wehrte sich, kratzte und schnappte. Kreischend ließ Anna ihn los. So hatte sie sich das nicht vorgestellt mit einem Knuddelhund.
Und Anna sollte recht behalten mit ihrem ersten Eindruck. Finn war kein Knuddelhund. Man musste der Tatsache ins Auge sehen: Dieser Hund war ein kleiner, fieser, nicht-kuscheliger, wild keifender Köter. Alles andere als das was Anna sich gewünscht hatte.
Und so war es auch nicht verwunderlich, sondern vielleicht sogar mehr als verständlich, dass Anna schon am Tag vor Silvester, nachdem sie es sechs Tage mit dem kleinen Biest ausgehalten hatte, eines nachmittags die Terrassentür aufließ und Finn diese Gelegenheit wie geplant nutzte um den Garten zu erkunden. Und die große Wiese hinter dem Haus. Und die angrenzende Straße. Und den Wald, der sich anschloss. Er schien den Schnee der die Landschaft in dieser Winterwoche bedeckte zu mögen und so lief und sprang er fröhlich umher.
Eine Stunde später war er tot. Erschossen. Ein Jäger hatte ihn für einen Fuchs gehalten. Anna war das jedoch egal. Sie zuckte zwar kurz, als sie es erfuhr. Aber dann war sie doch froh, dieses unfreundliche Weihnachtsgeschenk los zu sein, nahm wieder ihr Buch in die Hand und las weiter.
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