Es bestand aus 10 Kugeln, dieses Set. 10 glitzernde Christbaumkugeln in grün, rot und einem silbrigen Gold – jede unterschiedlich verziert.
Er zog die Handschuhe aus als er sich in die Pappschachtel zurücklegte in der er sie bekommen hatte. „Schöne Stücke“, dachte Karl, „ich kann mir vorstellen, dass sie einen guten Preis bringen.“ Er klebte noch den grünen Zettel mit der Nummer 78 an die Kisten und legte sie zu den anderen Auktionaten auf den Rollwagen.
Am nächsten Tag war der Andrang mäßig. Es war Anfang September, die Sonne schien noch warm und die meisten Leuten hatten heute mehr Lust auf ein Eis am Marktplatz – und nicht auf eine Auktion in Karls recht dunkler Auktionshalle. Aber etwa 20 Menschen hatten auf den alten Lederstühlen platzgenommen.
Die Auktion verlief dementsprechend ruhig aber mäßig. Die meisten der Auktionate brachten weniger als Karl erhofft hatte. Ledigliche das hölzerne Spielzeugauto erzielte mit 120 Euro einen Spitzenpreis, der dreimal so hoch war wie die Summe die Karl geschätzt hatte.
Die Nummer 77, eine kleine goldene Puppe mit schwarzen Haaren ließ sich nur schleppend versteigern. Sie kunsthistorisch interessant – das wusste aber heute niemand hier zu schätzen – aber sie war einfach so hässlich, dass Karl es niemandem übel nahm, nicht mitzubieten. Als sein Hammer das dritte Mal auf den Tisch knallte stand das letzte Gebot bei 53 Euro.
Jetzt waren die Christbaumkugeln an der Reihe. Karl startete mit 20 Euro. Ein alter Herr in schwarzem Sakko in der vorletzten Reihe hob gleichgültig die Hand. Karl blickte in die Runde. Niemand regte sich. Weihnachten war noch so weit weg. Karl wartete, zählte bis 30 wie er es immer tat und setzte dann an: „Zum Ersten“, nochmal zählen, bis 5, „Zum Zweiten“, … 1… 2.. da ein Knarzen …3 … 4… „25! 25 Euro!“ rief eine Stimme. Karl sah auf. Durch die Tür war gerade in diesem Moment eine junge Frau getreten, helle Schuhe, rotes Kleid. Karl freute sich, dass es ein neues Gebot gab. „30!“ rief jetzt der Mann der das erste Gebot abgeben hatte und ein wenig ärgerlich schaute. „50“ erhöhte die junge Frau. Karl, der es sonst nicht mochte, wenn die Bieter miteinander kommunizierten statt ihn ihre Handzeichen kommentieren zu lassen, ließ sie gewähren. Hier ging irgendetwas Seltsames vor. Und tatsächlich entbrannte ein harter Bieterstreit – bis die Kugeln schlussendlich für 345 Euro an die junge Frau gingen.
Als Karl eine Stunde später die Kugeln ein letztes Mal in die Hand nahm um sie der Frau auszuhändigen, fragte er: „Warum geben sie so viel Geld für ein paar alte verstaubte Christbaumkugeln aus?“ „Nun,“ antwortete die Frau und lachte verlegen, „ich mag Weihnachten. Vor allem im September. Und diese Kugeln sind etwas Besonderes. Das spüre ich einfach.“
Sie nahm die Schachtel mit den Kugeln und ging. Erst als die Tür hinter ihr zugefallen war merkte Karl, dass die Frau eine der Kugeln vergessen hatte. Die einzige, die nicht wirklich kugelförmig war, sondern unten spitz zulief. „Tja“, dachte Karl, „vielleicht mag ja auch ich Weihnachten im September.“, sprach es und hängte die Kugel an seine alte silberne Schreibtischlampe.
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